8/13/2013

Galleria Vezzoli, MAXXI Roma, Agosto 2013.

Galleria Vezzoli, MAXXI Roma, Agosto 2013. Hinter der Glaswand, Stahlbetonspiralen, die man in Wegen erschließt, die sich erst beim mehrmaligen Durchwandern tatsächlich erschließen, muss man einen roten Samtvorhang zur Seite schieben. Man gelangt in einen roten Raum, der sich hinein biegt, sozusagen den digitalen Kurven Zaha Hadids erliegt. Ein Tag zuvor im Palazzo Barberini, mehrere Tage zuvor im Palazzo Doria Pamphilj. Eher an den zweiten erinnert befindet man sich nun in einer verzerrten Realität – spaghettisiert und herrlich kurviert da in Italien – namentlich in der „Galleria Vezzoli“. Alles in rot und gold, Verzierungen und Verzückungen wohin man sieht. Das moderne Rom einer zweiten unterschwelligen Kaiserzeit. Es trieft vor Dekadenz und Arroganz und geschwellter Brust. Tritt man aber an die Werke heran bricht diese in ihrer Apotheose angeschwollener Brüste. Vergnügte Tränen, die nichts als „la dolce vita“ vormachen, vortäuschen, strahlende Porträts der Stars überblenden. Auf groben Stoffen gedruckt offenbaren sie den Stoff aus dem die Träume sind, ehe sich Blasen bilden, aus Seife. Darin rahmen sich die Gemälde, die gar keine sind und weil sie keine sind, sind sie echt. Was ist schon echt? An der Kunst? Bloß der onanierende Sklave, der gekonnt das Ejakulat in die goldene Schale der alten Matrone spritzt, die sich damit mit einem mit Ringen bestückten Finger das Gesicht eincremt. Man erinnert sich an Anti-Age und an die großen (pathetischen) Gefühle der Jugend... Eine andere Ausstellung, die sich über drei Etagen im MAXXI zieht, zeigt ein soziales Engagement. Die laute Größe der elendigen Kunst!! Weil auch hier bloß gezeigt wird, würde der brave loyale Kritiker an dieser Stelle Zitate bringen, Theorieassoziationen oder Bücherschlangen beschwören, doch was bleibt uns ohne diese übrig? Wir sehen uns das Video an und dann steigt Foucault, der sich in der panoptischen Hölle mit Cherry Bentham vergnügt, aus dem Grab und mahnt uns zur Sitte! Sitzen wir nicht alle im Gefängnis oder am Flughafen fest? Durchs Glas sehen wir drei Stockwerke nach unten, als ob es keinen Boden geben würde. Ohne Fiona Tans Ausstellung hier hochnäsig wegschieben zu wollen, oder schon gar nicht die wirklich – nicht nur formal – sehr gelungenen Fotografien von Luigi Ghirri zu schmälern, ist die Bestandausnahme der aktuellen Kunst in Rom Francesco Vezzoli geschuldet. Der Mailänder Modespezi(alist) versteht sich gut auf die ausgehöhlte Noblesse. Vor allem in seinen St®ickbildern kommt sie zum Tragen. In den Videos: Trailer zu Filmen, die es nicht gibt. Doch wir sehen nur Stars, die sich bereitwillig für Vezzoli in Szene setzen. Wenn alle zur „Ironie“ und zum „Extremismus“ seiner Kunst – wie u.a. im gelungenen Katalog – Stellung nehmen, müssen wir im Fahren auf lebendige Ziele schießen. Und so tut es gut einmal näher Fiona Tan und Vezzoli aneinander vorbeifahren zu sehen. Beide sind vom Konzept abhängig, doch während Fiona Tan an die Macht der Bilder und deren Präsenz verharrt – und das durchaus in einem romantischen Sinne – verwirft Vezzoli das Konzept indem er es konzipiert. So sehen wir bei Vezzoli eine Doppelbödigkeit, die man z.B. auch in den Kirchen Roms wieder findet. Man braucht sie nicht zu suchen, denn man sieht sie macht man die Augen auf. Tan reißt die Augen auf die sozialen Punkte, die für „la dolce vita“ vernachlässigend sind. Wer will noch Kunst, wenn es Haute Couture gibt? Wer will noch soziale Aspekte anprangern, wenn er weiß, dass es eine Unzahl von Menschen gibt, denen man etwas vormachen muss, damit man noch gut gekleidet außer Haus gehen kann? Die schlecht gekleideten Touristen blieben dem MAXXI fern. Vezzoli setzt sich selbst in Szene, einmal als Antinous, einmal als Hadrian, wie sie sich gegenseitig lieben. Und tatsächlich, man fühlt es – das Anhimmeln der Kunstwerke. Und die unmodischen Menschen werfen ihre ausländischen Euromünzen in den Automat, um den Caravaggio bei Licht zu bestaunen. Das Raunen geht einen nicht mehr aus dem Kopf, wie die für einen Sakralraum etwas lauten Worte des Aufpassers: „No Photo!“ Weniger die revolutionäre Malweise als die Subtilität ist es, was Caravaggio ausmacht. Der Moment, der zur Verkettung von Momenten führt. Und das Bild läuft an dir vorüber, sodass du lange davor stehen bleibst: So im Palazzo Barberini, in der Villa Borghese, so in San Luigi dei Francesi, in Santa Maria del Popolo. Wir sind immer noch im MAXXI und sehen den Flakon von Vezzolis Parfum “Greed“. Auch dieses gibt es nicht. Die Leerheit steht der der Religion in nichts nach, sondern spielt mit ihr. Vezzoli ist weniger einem Mythos der Moderne gefolgt, als einem die Konsumorientierung der westlichen Gesellschaft, der auch die lieben Kunsthistoriker angehören, weiß- und/oder schwarz-machen will, als der Weichheit und Flüssigkeit im Werk Salvator Dalis, den er sehr verehrt. Was Vezzoli uns zeigt ist auch nicht bloß die Folgeerscheinung Fellinis Leere des Vergnügens, oder der sehnsüchtigen und unlebbaren Ausschweifung, wie man an den an Pasolini orientierten Werken lesen kann. Vezzoli ist weniger an einer Möglichkeit orientiert. Dieses trotzige „Doch“ ist ihm dennoch nicht fremd, da er es hernimmt und belächelt. Man schlägt den Katalog auf, liest es an den Wänden: Doch dieses Lächeln ist doch (!) nicht „ironisch“, meine verehrten KollegInnen. Es hat seine Zartheit, die durchaus provoziert. Der Geist Manzonis lacht mit uns vor den heißen „Bouncing Balls“, die sich am kühlen Bruce „la Bruce“ Nauman orientieren. Eigentlich ist nichts zu sagen. Es lohnt sich keine große Schrift, wenn man Vezzoli als „unmöglich“ ansieht, denn dann kann man es nur unterstreichen, zwei Mal… Der Konsum und die Fassade, die in Rom verfallen ist und dadurch noch Platz zum Fantasieren lässt, prägen unseren Geschmack. Und wenn Vezzoli für gläubige Gemüter zu weit geht und Naomi Campbell als Madonna inszeniert oder sich selbst als antike Skulptur in Szene setzt, tritt er womöglich die Tradition weniger als ihm lieb ist. Eigentlich hat er keine Tradition mehr, nichts zu tradieren. Er übersetzt den Markt, weil er selbst(-)bewusst Marke ist. Eine Hand wäscht die andere, sie waschen sich gesellig gegenseitig und alles ist ach so sauber, dass man sich freut wieder aus dem MAXXI zu schlingen, in die dreckige Tram einzusteigen und in die Stadt zurückzufahren, um irgendwo la cena zu verzehren. Dann fährt man an Kirchen vorbei und hat Zeit über den Begriff „Andacht“ nachzudenken. Doch wenn man dabei die unstylischen touristischen Pilger sieht, sehnt man sich zurück nach der „Galleria Vezzoli“…