Die Flucht in den Zufall. Max Ernst in der Albertina.
Nicht nur Gott war am siebenten Tage langweilig. Menschen gehen um dieser Langweile zu fliehen ins Museum. Es ist mein Ernst, Max. Georges Bataille schrieb 1959: „Er sei ein Philosoph, der spielt.“ In meiner Unwissenheit schlug ich im etymologischen Wörterbuch nach und bemerkte, dass Ernst auch „Festigkeit, Kampf“ bedeute. Es leite sich vom Griechischen éris „Streit, Kampf“, erétho „reize auf“, epéreia „Kränkung, Drohung“ ab. Oder adorior „ich greife an“. Doch ich kann es nicht begreifen, why I adore his works so much.
„Adore“ bedeutet ja im Englischen soviel wie „anhimmeln, bewundern, vergöttern“. Der Reiz des Angriffs spitzt sich bei der Betrachtung der Kunst Max Ernsts dermaßen zu, da er die haptische Präsenz nicht nur hervortreten lässt, sondern weil sich dieser Abdruck durch die Leinwand oder das Blatt durchpresst und sich als Abdruck in meinem Hirn festsetzt. Der Kampf, der ausgetragen wird ist ein rein körperlicher. Doch einer der Übersetzung – wie immer – von einer dreidimensionalen Form zu einer zweidimensionalen Fläche, worauf sich die erhabenen Strukturen umkehren und zu Einbuchtungen werden, so als ob wir nun dieses Holzstück wären, welches weg ist. Max Ernst sprach in einem Video – in der Ausstellung – davon, dass er die Angst vor dem weißen Blatt hatte und ihm die Inspiration fehlte. Die Experimentierfreudigkeit brachte ihn dazu einfache Oberflächen herzunehmen und diese als Ausgangspunkt für seine Bilder zu denken: die Frottage. Überall könne man etwas sehen, woraus sich etwas entwickelt. Zahlreiche andere Experimente und Techniken – welche ich nicht weiter ausführe, wie Grattage, Décalcomanie und Oszillation – prägten seinen spielerischen Umgang. Unverbildet als Autodidakt ging er daran das Material zu untersuchen und das, was übrig bleibt. Erinnerungen, wohin das Auge schaut, doch nicht nur das Auge sieht.
Doch was sieht das Auge nun, wenn es an einem Sonntag – und nicht nur dann! - die Albertina betreten mag. Es sieht eine Retrospektive, die auf und ab geht. Der lange Gang, der weite Weg hinauf. Dieses Emporgehen, dieser weite Weg, lässt die Erwartungen nicht sinken, sondern steigert den Reiz die Arbeiten zu betrachten. Dass die Ausstellungsarchitektur konventionell ist, muss nicht groß hervorgehoben werden. Wir sind nur wegen der Arbeiten gekommen! Die Sauberkeit der Albertina und die aufgeklebten Texte will ich ausblenden. Die Räume haben viel mehr Potenzial, sodass etwas brachliegt, wenn man sie durchschreitet. Auf Sichtachsen und erfernte Betrachtungen von Gemälden wurde wenig Rücksicht genommen. Jedoch nicht unbedacht. Der erste Raum – schreitet man durch die Glastüre – konfrontiert uns mit frühen Arbeiten, die z.T. noch sehr an Chagall, De Chirico oder Balla erinnern mögen. Besonders interessant fand ich das „Seestück“ von 1921 – gleich das erste Gemälde rechts. Die Wüste mit Springbrunnen und Kalabasse. Nur durch diese kommt man zu Wasser und Musik. Zwei wesentliche – nicht Dinge, sondern – Harmonien in der Wüste. Wie kann man etwas denken, über das, was nicht hier ist? Nur so. Die Sehnsucht richtet sich nach dem Unerreichbaren, doch hier ist es vorhanden und das Bild verheißt es mir. Es sei möglich... Ich muss schnell weiter. Was ich bemerkte waren diese ins Leere laufenden Umrisse. Outlines, deren Figuren offen bleiben und sich zu dematerialisieren scheinen bzw. Grund in sich aufnehmen oder sich dem Grund hingeben? Jedenfalls ihn schneiden und sich als Linien über ihn zufällig zu ergießen scheinen. Die Collagen im zweiten Raum haben eine derarige Feinheit, dass sie mich erschreckten. Die Montage – wahrscheinlich (nicht nur) im Wissen um Duchamp entstanden – zeigt sich in maschinellen Zeichnungen – gleich rechts an der Rückwand. Der Übergang ist verständlich. In den Collagen wird nun geschnitten und kombiniert. Diese Collagen verdichten sich, berühren sich, da sie sich überlappen und doch homogen aussehen.
Wir gehen die Stufen hinunter und sehen nach rechts. Was wir sehen ist „Die Ruine“, ein Gemälde von 1922. Es wirkt leer und tot. Den Text, der nebst dem Gemälde appliziert ist können sie selbst lesen. Das Format ist oval. Der Hintergrund ist schwarz. Ohne lebende Personen schiebt sich ein Sandkegel in dieses Schwarz pyramidenförmig hinein. Hierauf befinden sich mehrere Vertiefungen, weiter oben ein schwarzes Loch, das eine Tür suggeriert. Erinnert an Mastabas und Gräber sehen wir nun rechts vorne einen Ziegelwand, sowie links einen Ziegen oder Schafskopf liegen. Die Haut und das Fell abgezogen zeigt sich das Fleisch. Ein schwarzer Fleck lässt den Gestank erahnen. Doch welcher Gestank? Erst aus dem nächsten Raum – nachdem man das viel diskutierte Gemälde „Ubu Imperator“ von 1923 passiert hat –, ein paar Stufen tiefer, kann man die Ikonografie des Bildes erkennen. Sie ließ mich erschaudern. Ich sah mir eine Fotomontage an und blickte kurz zurück und dann erkannte ich aus der Ferne die Ruine als eine Madonnendarstellung mit Kind. Die Sandpyramide wurde zum Umhang Mariae, die schwarze Öffnung zu ihrem leeren Körper. Es ist klar, dass sie nicht mehr da ist. Auch das Kind fehlt. Vielleicht mögen sie nun den Beipacktext neben dem Gemälde lesen.
Auch ich war schon weg – im nächsten Raum.
Max Ernst gab seinen Arbeiten oft viel später erst ihre Titel. Da sich Arbeiten im Laufe der Zeit (auch und besonders für Künstler) verändern, ist es schwierig und nahezu unmöglich – wenn man allein nur liest, was nebensteht – zu verstehen. Doch darum geht es nun wirklich nur am Rande, denn will ich Kunst völlig entzaubern, so entkommt man auch den Gemälden von Max Ernst. Man könnte nun die Augen schließen und durch die Ausstellungsräume laufen, vor der Ausstellung flüchten, wie so viele Menschen. Es ist nicht zu lachen, doch viele Kunsthistoriker – wie auch Kuratoren – meinen, dass diese Beipacktexte wichtig seien, doch halten sie in diesem Fall eher ab, als hineinzuführen. Viel wichtiger erscheint es mir nur die Bilder zu betrachten, was auf ihnen steht und nicht nur das geschriebene Wort. Denn wenn Ernst von Rousseau, Redon, Breton oder sonst noch wem beeinflusst war, so nutzt der Verweis nichts. Ich will den Vogel denken, der im Bild „Zwei Personen und ein Vogel“ von 1926, am Boden liegt. Nahezu zertreten fleht er mich an. An einigen Stellen mit Kreuzschraffur überzogen scheint das Bild eine Umkehr zu sein. Keine Zeichnung als Grund, sondern einer Zeichnung eines Darüber. Und dieser gezeichnete Vogel wurde tatsächlich zum Gezeichneten. Er ist Zeichen eines Beisamensein, doch welches – warum ist er am Boden? Sind es die tiefen Leidenschaften, oder ist es das Ende, welches hier in radikal austretender Offenheit beschworen wird. Beides? Wenn wir weiter gehen sehen wir „Zwei junge nackte Chimären“ von 1927. Es beginnt sich das bösartig-bedrohliche Mischwesen zu vermehren? Es zeigt sich an sovielen Stellen und es verschwindet wieder im Fleck / als Fleck.
Hat man das schicke – leider schickliche – Spiegelkabinett überwunden stößt man auf das – schon erwähnte – Frottage-Video. Doch zuvor – selbe Wand, aber gleich rechts - „Eva, die einzige die uns bleibt“ von 1925. Ich stand nur kurz davor und es kam mir vor als stünde ich Stunden...
Nach den Collagen für die Gedichtebände für Paul Éluard, sowie seinem eigenen Bildroman waren es vorallem die Stellung der Plastiken und Skulpturen, welche mich etwas enttäuschte. Der Spiegel – wieder eingesetzt – um die an den Rand gedrängten Arbeiten allansichtig zu machen ist nervig. Die Arbeiten verlieren dadurch leider an Kraft. Nachdem man sich wieder allmählich die Stufen hinaufkämpft, um dann wieder hinabzugehen stößt man auf die „Versuchung des Heiligen Antonius“ von 1945. Man fühlt sich hier wohl. Beim Betrachten wird man ruhig, weil die Wesen der Flecke – im Sinne Leonardos – nun endlich lebendig werden und zwar vehement lebendig. Ist das Motiv auch an Grünewald angelehnt, so zeigt sich darin die spezielle Qualität Max Ernst: Weniger ist es der vielzitierte Hieronymus Bosch und das Phantastische, sondern viel mehr das unendliche Spiel der Realität (um es beim Namen und nicht über andere Namen zu nennen!)– ob gespiegelt oder nicht. „Der Philosoph, der spielt“ tritt hier zu tage und die Kunst wird zum Leben, indem sie ihn zerreißt und doch noch zusammenhält. Von Natur überwuchert werden. Von Malerei überwuchert werden. Es ist dasselbe, weil es immer das Andere ist – was uns anzieht und uns erst zum Mensch macht. Das Tier, die Pflanze macht uns zum Menschen. Und die Bedrohung, die davon auszugehen mag, macht uns lebendig. Nun sind wir schon weit vorgedrungen und schlagen uns Eck um Eck weiter. Plötzlich stehen wir vor einem Bild, welches 52 Bilder beinhaltet. Es heißt „Vox Angelica“ von 1943. Der Besucher bekommt einen Kommentar von Werner Spieß dazugeschalten. Ja, Max Ernst war 52 Jahre alt. Ja, er war in einer Hütte in Arizona. Dieser Raster bedrückt mich und ich gehe schnell weiter. Abgerahmtes Leben, wie ein Kalendar deren Tage nach und nach abgehakt wurden und nun ist das Jahr um – die Ausstellung noch nicht ganz. Die Bilder im letzten Raum sind wuchtige Farbexpolsionen. „Ein Bienenschwarm in einem Justizpalast“ von 1960 – ein heftiges Allover. Durch eine Glastüre war man nun wieder draußen. Die Aufgabe war nun wieder herunterzukommen – in doppeltem Sinne. Unten lag der Katalog, der mich weniger interessierte, doch das Zitat von Max Ernst an der Rückseite des Einbands bewegte mich: „Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet.“