9/27/2013

Vom Öffnen der Rahmen“
Piet Mondrian / Barnett Newman / Dan Flavin im Kunstmuseum Basel

Eine Ausstellung, die ein formal korrektes Vorgehen in ihrer Besprechung fordert, ist jene, die zur Zeit im Kunstmuseum in Basel (bis 19.1.2014) zu sehen ist. Vielleicht ist „sehen“ der falsche Ausdruck. Man könnte nun einwenden, dass es doch bei Malerei eigentlich immer um das „Sehen“ ginge. Doch hier ist es möglicherweise, nicht nur aufgrund des dritten Künstlers, ein Schritt zu wenig...

Kommt man also die Stiegen hoch, passiert eine riesige Arp-Skulptur, flankiert von Gemälden des abstrakten Expressionismus: im Aufgang zwei von Sam Francis, ein schwarz be- bzw. gefleckt übermaltes und ein recht lockeres weißes; wird oben im Foyer erst einmal die Farbe zurückgenommen. Etwas aus der Mitte gesetzt, ein Clifford Still sowie rechts daneben ein Gemälde von Franz Kline. Diese beiden in schwarz weiß gehaltenen Bilder zeigen an den Rändern (Still) und im Zentrum (Kline) untere Malschichten, farbig, sowie das Gewebe der Leinwand, die Materialität, den Grund.

Sie werden denken, was das mit der Ausstellung zu tun hat. Besonders wenn ich nun auf den grauen und groben Steinboden, Fließen, ca. 50 oder 60 cm, quatratisch, zu sprechen komme. Sie müssten mir vorwerfen, in meiner Auflistung, die in düsteren Tönen (in grau) gehaltene Arbeit von Alexander Calder, die über der Stiege, direkt vor und ober der zentralen Skulptur von Hans Arp, hängt, nicht zu erwähnen. Sie sollten mich fragen, welche Farbe die Wände haben, wie sie beschaffen sind. Ich müsste antworten, dass sie leicht ins cremefärbige gestrichen sind und sich etwas mit den Gemälden brechen, sowie dass sie grob – ähnlich dem Steinboden – beschaffen ist. Sie wirke, als ob sie selbst Gewebe wäre.

Haben wir also – oben angekommen – zwei mehr oder weniger unbunte Bilder vor uns, so schwenken wir nun nach links ab und sehen drei schmale hochformatige Banner, worauf jeweils oben eine Fotografie des Künstlers inmitten seiner jeweiligen Werke im Atelier zu sehen ist, schwarz-weiß, darunter das Leben mit Hilfe chronologischer Eckdaten aufgetröselt. Fängt man unten zu lesen an, bemerkt man, dass alle drei bereits tot sind.

Die schwarzen Polstermöbel, Hocker und Couch sind schräg gegenüber, weit entfernt. Man liest also stehend, wenn man es überhaupt liest, oder besser die in mundgerechterer Form bereitliegende Broschüre nimmt, die vor der Schwelle in den ersten Saal, griffbereit liegt.

Nun wandelt sich der Boden. Ein helles Parkett. Es wandelt sich auch die Wand, denn sie gewinnt an Blässe und Dichte. Der gewohnte White Cube strahlt. Man und frau tritt hinein in die Ordnung. Ein Saal mit 3, 3, 6 und 3 Bildern an den vier Wänden, allesamt von Piet Mondrian. Beim ersten Bild erkennt man noch den Baum, man hat ihn im Hinterkopf, sodann ist er aber abgeschüttelt. An diesem Bild, das Grau- und Beigetöne vereint, sieht man den Übergang von der bisherigen Kunst in Mondrians Welt, die sich bereits daneben dem Betrachter eröffnet. Die Decke besticht mit ihrer Lichtkonstruktion - ein Stahlraster mit Glasplatten -, bei der man geneigt sein mag, Mondrian weiterzudenken, hinauszudenken, hinein ins Licht.

Die originalen hölzernen Bildrahmen in den applizierten neuen Rahmen fielen besonders auf. Angebrachte Leisten. Die Leinwände sind zum Teil nicht über den Rand der Vorderfläche gemalt. Was bei Mondrian immer wieder besticht ist seine Einfachheit, seine Abstraktion als „Abgezogenes“. Malerei als formale Beschränkung auf Muster und Struktur: Geordnete Farbfelder, die in Balken gehalten werden, jedoch umgedreht halten diese Farbfelder auch die Balken. Es gibt zu den Gemälden Mondrians eigentlich nichts zu sagen, außer den Anspruch nach Gleichgewichtung, den sie durchaus verkörpern. Dies ist auch in den Texten und Schriften des Künstlers nachzulesen, wie der Begriff „Neo-Plastizismus“, welcher doch besonders auf das Plastische verweist. Bei der Betrachtung möchte man sich fragen, was unten und oben sei. Dann erkennt man, dass alle Bilder mit P.M. und dem entsprechenden Jahr signiert und so ausgerichtet sind. Dennoch sind gerade diese bunten Flächen und Möglichkeiten es hinten oder vorne, so oder so oder doch so zu lesen. Dies lässt uns an schwebende Balancen denken, die nicht fix sind, aber gerade dabei sich auszutarieren. Linien sind nicht immer durchgezogen, stoppen, lassen die Farbe über, geben sie Preis, als ob die Struktur sich nur sanft aber bestimmt darüberlegt, die Farben zudeckt und umgrenzt. Übermalungen sind häufig, da es um das Finden der Balance geht, dennoch bestechen die Bilder gerade durch ihre Exaktheit und gleichmäßige Flächigkeit. Für Mondrian ist die Balance weit mehr als nur bildimmanent, sie ist ganzheitlich gedacht. Die Frage muss nun also sein, wie sich der Betrachter fühlt.

Der Autor fühlte sich ermutigt weiterzugehen. Im zweiten Saal traf er dann u.a. auf „New York City“ von 1941, welches eine Collage darstellt. Bunte Klebestreifen verdecken die schwarzen Balken. Ist es nun ein Offenlegen des Prozesses? „Eine Befreiung der Farbe“? Weiße Punkte an den schwarzen Kreuzungen sind das Letzte was man von Piet Mondrian sieht.

Überschreitet man die Schwelle nun, zieht sich diese Überklebung erst einmal am Boden als Leiste weiter. Es ist gefordert nun Abstand zu nehmen! Und ich sehe Barnett Newman 1944 in der MoMA Retrospektive von Mondrian, wie ich nun den Übergang erlebe, wie er besonders nah an den Bildern steht. Mystizismus und Malschichten, Übermalungen, bebende Farbfelder. Newmans „Yellow Paining“ von 1949 zieht als erstes in den Bann. Eine fluoriszierende Wirkung, verstärkt durch die zwei hellen verikalen „zips“ - Streifen auf den Seiten. Das Gelb der Mitte schimmert grün, es tritt eine grau schwarze Düsternis tief hervor. Die unteren Malschichten machen sich bemerkbar. Die dunkelrot abgezippte rechte Seite von „Eve“ aus 1950 macht den Eindruck einer Raumkante, einer Inversion des Bildes, das – steht man wirklich fast so nah, wie Barnett es gefordert hat und vielleicht zu nah, als das Museum es erlaubt – dreht sich das Bild nach vorne ein, klappt zu, ähnlich einem Flügelaltar, zudem versinkend in den Farbschichten. Besonders im blauen „Day Before One“, welches andere Tiefengrade des Blau zeigt, von der großen Fläche nach oben und unten an die Ränder verdrängt.
(Foto: Fritz Müller)

Newman spielt in „The Moment I“ – im vierten Saal – mit dem Disegno: Eine ungrundierte Leinwand, zwei gelbe Zips, die vertikal über sie laufen. Nässe ist ins naheliegende Gewebe ausgelaufen, frei gelassen, vom Material ausgesaugt. Geht der Besucher weiter, so wird er/sie im fünften Saal mit „Chartres“ aus 1969 konfrontiert. Hier scheint auf den ersten Blick Newman Mondrian sehr nahe gekommen zu sein, doch das ist gar nicht der Fall. Das Überschwappen Farbe ist eher ein Überschwappen des Lichts. Nachbilder, Drehungen, Inversionen, sieht man lange – mit unangestrengten bzw. -konzentrierten Auge – darauf. Die Buntheit wandelt sich, die blauen Streifen werden zu gelben. Ähnlich niedergeschnürt wie in der Kathedrale, welche sich so gesehen eigentlich am wenigsten in der Form der Leinwand wiederfindet.

Der Gang in die Farbe ist das Schwierigste in der Malerei. Es bedarf einer Sensibilität und dieser bedarf es eine grundlegende Offenheit, die besonders durch die Einschränkung zu finden ist. Haben wir bei Mondrian von einer formalen Ausgewogenheit zu sprechen, so haben wir bei Newman an einen freigesetzten Farbengrund zu denken. Beruhigt Mondrian, so beunruhigt Newman, da sich der Grund vehement bemerkbar macht. So ließen sich auch seine Themen wie Mythologie, oder „The Wild“ denken. Jene Arbeit, die einzig ein Zip ist. Doch was hat es mit diesem Zip auf sich, wie ein Reißverschluss ist er Mittler am/im/ins Bild. Er schließt die unteren Schichten auf, legt den Grund offen, oder verdeckt ihn. Mondrian verdeckt die Konstruktion in „New York City“ mit den Klebestreifen in Farben der einstigen Felder, doch der Betrachter assoziiert die Blocks, die Vogelperspektive über den Straßen der Stadt. Es ist vielleicht dieser industrielle, maschinelle, städtische Charakter Mondrians, dem Newman das wilde Aufreißen, Emporschnellen der darunterliegenden Natur entgegensetzt. Ein stilles Aufbegehren des tiefen Grunds.

Doch schon am Anfang sah man ein Licht am Ende der Enfilade. Man denkt an ein Fenster, Sonnenlicht, die Natur, das Draußen, was sich bemerkbar macht, in die Ausstellung einbricht, doch es sind, tritt man näher, zwei Leuchtstoffröhren. „the nominal three. To Wilhelm of Ockham“ 1963. In den Raumecken sind links eine und rechts drei Leuchtstoffröhren angebracht. Man zählt von links nach rechts. Die Arbeiten von Dan Flavin funktionieren nur noch mit dem Raum, auf den sie einwirken, weil sie ausstrahlen. Die Ecken werden – wie auch im Innenhof des Kunstmuseums – demateralisiert, ich würde aber eher von „geöffnet“ sprechen. Es sind die ungeahnten Türen, die Tore (Newman), die Netze, Pläne (Mondrian), die bei Flavin ausgeschalten werden. Wie ist das jetzt zu verstehen? Ich erwähnte die Leisten am Boden, die Zips, die Balken, die Rahmen, die nun leuchten, strahlen. Flavins Arbeit war doch nie die handelsübliche Leuchtstoffröhre! Es war die Wirkung, die Öffnung des Orts indem sie sich befindet, Auflösung jeder mythologischen Konstante, doch permanente Geladenheit als Strahlung, die ständige Präsenz des Mystischen. Worauf kommt es bei Flavins „untitled. To Barnett Newman“ 1971 nun an? Sehen sie sich die Arbeit an: die Ausrichtung, wie es sich zum Raum verhält, das Licht, wo es durch die Materialität der Leuchtstoffröhre verdeckt ist, wo es zum Vorschein kommt.

Die Verbindung? Ist sie nun dem Effekt des Sehens im Schein und Schimmern, in der Schwebe, in der Balance, geschuldet? Dem Spiel mit Oberfläche und Grund – wie immer, wie auch immer – sind wir immer unterlegen. Was wohl dahinter steckt? Die Widmung als lapidarer Bezug ist alles was uns Flavin als Etiquette stehen lässt. Wir beginnen zu grübeln, uns zu verlieren, laufen aus, wie die Farbe und fragen uns beim Hinausgehen wie es wohl ist, wenn jemand den Stecker zieht...