9/27/2013

Vom Öffnen der Rahmen“
Piet Mondrian / Barnett Newman / Dan Flavin im Kunstmuseum Basel

Eine Ausstellung, die ein formal korrektes Vorgehen in ihrer Besprechung fordert, ist jene, die zur Zeit im Kunstmuseum in Basel (bis 19.1.2014) zu sehen ist. Vielleicht ist „sehen“ der falsche Ausdruck. Man könnte nun einwenden, dass es doch bei Malerei eigentlich immer um das „Sehen“ ginge. Doch hier ist es möglicherweise, nicht nur aufgrund des dritten Künstlers, ein Schritt zu wenig...

Kommt man also die Stiegen hoch, passiert eine riesige Arp-Skulptur, flankiert von Gemälden des abstrakten Expressionismus: im Aufgang zwei von Sam Francis, ein schwarz be- bzw. gefleckt übermaltes und ein recht lockeres weißes; wird oben im Foyer erst einmal die Farbe zurückgenommen. Etwas aus der Mitte gesetzt, ein Clifford Still sowie rechts daneben ein Gemälde von Franz Kline. Diese beiden in schwarz weiß gehaltenen Bilder zeigen an den Rändern (Still) und im Zentrum (Kline) untere Malschichten, farbig, sowie das Gewebe der Leinwand, die Materialität, den Grund.

Sie werden denken, was das mit der Ausstellung zu tun hat. Besonders wenn ich nun auf den grauen und groben Steinboden, Fließen, ca. 50 oder 60 cm, quatratisch, zu sprechen komme. Sie müssten mir vorwerfen, in meiner Auflistung, die in düsteren Tönen (in grau) gehaltene Arbeit von Alexander Calder, die über der Stiege, direkt vor und ober der zentralen Skulptur von Hans Arp, hängt, nicht zu erwähnen. Sie sollten mich fragen, welche Farbe die Wände haben, wie sie beschaffen sind. Ich müsste antworten, dass sie leicht ins cremefärbige gestrichen sind und sich etwas mit den Gemälden brechen, sowie dass sie grob – ähnlich dem Steinboden – beschaffen ist. Sie wirke, als ob sie selbst Gewebe wäre.

Haben wir also – oben angekommen – zwei mehr oder weniger unbunte Bilder vor uns, so schwenken wir nun nach links ab und sehen drei schmale hochformatige Banner, worauf jeweils oben eine Fotografie des Künstlers inmitten seiner jeweiligen Werke im Atelier zu sehen ist, schwarz-weiß, darunter das Leben mit Hilfe chronologischer Eckdaten aufgetröselt. Fängt man unten zu lesen an, bemerkt man, dass alle drei bereits tot sind.

Die schwarzen Polstermöbel, Hocker und Couch sind schräg gegenüber, weit entfernt. Man liest also stehend, wenn man es überhaupt liest, oder besser die in mundgerechterer Form bereitliegende Broschüre nimmt, die vor der Schwelle in den ersten Saal, griffbereit liegt.

Nun wandelt sich der Boden. Ein helles Parkett. Es wandelt sich auch die Wand, denn sie gewinnt an Blässe und Dichte. Der gewohnte White Cube strahlt. Man und frau tritt hinein in die Ordnung. Ein Saal mit 3, 3, 6 und 3 Bildern an den vier Wänden, allesamt von Piet Mondrian. Beim ersten Bild erkennt man noch den Baum, man hat ihn im Hinterkopf, sodann ist er aber abgeschüttelt. An diesem Bild, das Grau- und Beigetöne vereint, sieht man den Übergang von der bisherigen Kunst in Mondrians Welt, die sich bereits daneben dem Betrachter eröffnet. Die Decke besticht mit ihrer Lichtkonstruktion - ein Stahlraster mit Glasplatten -, bei der man geneigt sein mag, Mondrian weiterzudenken, hinauszudenken, hinein ins Licht.

Die originalen hölzernen Bildrahmen in den applizierten neuen Rahmen fielen besonders auf. Angebrachte Leisten. Die Leinwände sind zum Teil nicht über den Rand der Vorderfläche gemalt. Was bei Mondrian immer wieder besticht ist seine Einfachheit, seine Abstraktion als „Abgezogenes“. Malerei als formale Beschränkung auf Muster und Struktur: Geordnete Farbfelder, die in Balken gehalten werden, jedoch umgedreht halten diese Farbfelder auch die Balken. Es gibt zu den Gemälden Mondrians eigentlich nichts zu sagen, außer den Anspruch nach Gleichgewichtung, den sie durchaus verkörpern. Dies ist auch in den Texten und Schriften des Künstlers nachzulesen, wie der Begriff „Neo-Plastizismus“, welcher doch besonders auf das Plastische verweist. Bei der Betrachtung möchte man sich fragen, was unten und oben sei. Dann erkennt man, dass alle Bilder mit P.M. und dem entsprechenden Jahr signiert und so ausgerichtet sind. Dennoch sind gerade diese bunten Flächen und Möglichkeiten es hinten oder vorne, so oder so oder doch so zu lesen. Dies lässt uns an schwebende Balancen denken, die nicht fix sind, aber gerade dabei sich auszutarieren. Linien sind nicht immer durchgezogen, stoppen, lassen die Farbe über, geben sie Preis, als ob die Struktur sich nur sanft aber bestimmt darüberlegt, die Farben zudeckt und umgrenzt. Übermalungen sind häufig, da es um das Finden der Balance geht, dennoch bestechen die Bilder gerade durch ihre Exaktheit und gleichmäßige Flächigkeit. Für Mondrian ist die Balance weit mehr als nur bildimmanent, sie ist ganzheitlich gedacht. Die Frage muss nun also sein, wie sich der Betrachter fühlt.

Der Autor fühlte sich ermutigt weiterzugehen. Im zweiten Saal traf er dann u.a. auf „New York City“ von 1941, welches eine Collage darstellt. Bunte Klebestreifen verdecken die schwarzen Balken. Ist es nun ein Offenlegen des Prozesses? „Eine Befreiung der Farbe“? Weiße Punkte an den schwarzen Kreuzungen sind das Letzte was man von Piet Mondrian sieht.

Überschreitet man die Schwelle nun, zieht sich diese Überklebung erst einmal am Boden als Leiste weiter. Es ist gefordert nun Abstand zu nehmen! Und ich sehe Barnett Newman 1944 in der MoMA Retrospektive von Mondrian, wie ich nun den Übergang erlebe, wie er besonders nah an den Bildern steht. Mystizismus und Malschichten, Übermalungen, bebende Farbfelder. Newmans „Yellow Paining“ von 1949 zieht als erstes in den Bann. Eine fluoriszierende Wirkung, verstärkt durch die zwei hellen verikalen „zips“ - Streifen auf den Seiten. Das Gelb der Mitte schimmert grün, es tritt eine grau schwarze Düsternis tief hervor. Die unteren Malschichten machen sich bemerkbar. Die dunkelrot abgezippte rechte Seite von „Eve“ aus 1950 macht den Eindruck einer Raumkante, einer Inversion des Bildes, das – steht man wirklich fast so nah, wie Barnett es gefordert hat und vielleicht zu nah, als das Museum es erlaubt – dreht sich das Bild nach vorne ein, klappt zu, ähnlich einem Flügelaltar, zudem versinkend in den Farbschichten. Besonders im blauen „Day Before One“, welches andere Tiefengrade des Blau zeigt, von der großen Fläche nach oben und unten an die Ränder verdrängt.
(Foto: Fritz Müller)

Newman spielt in „The Moment I“ – im vierten Saal – mit dem Disegno: Eine ungrundierte Leinwand, zwei gelbe Zips, die vertikal über sie laufen. Nässe ist ins naheliegende Gewebe ausgelaufen, frei gelassen, vom Material ausgesaugt. Geht der Besucher weiter, so wird er/sie im fünften Saal mit „Chartres“ aus 1969 konfrontiert. Hier scheint auf den ersten Blick Newman Mondrian sehr nahe gekommen zu sein, doch das ist gar nicht der Fall. Das Überschwappen Farbe ist eher ein Überschwappen des Lichts. Nachbilder, Drehungen, Inversionen, sieht man lange – mit unangestrengten bzw. -konzentrierten Auge – darauf. Die Buntheit wandelt sich, die blauen Streifen werden zu gelben. Ähnlich niedergeschnürt wie in der Kathedrale, welche sich so gesehen eigentlich am wenigsten in der Form der Leinwand wiederfindet.

Der Gang in die Farbe ist das Schwierigste in der Malerei. Es bedarf einer Sensibilität und dieser bedarf es eine grundlegende Offenheit, die besonders durch die Einschränkung zu finden ist. Haben wir bei Mondrian von einer formalen Ausgewogenheit zu sprechen, so haben wir bei Newman an einen freigesetzten Farbengrund zu denken. Beruhigt Mondrian, so beunruhigt Newman, da sich der Grund vehement bemerkbar macht. So ließen sich auch seine Themen wie Mythologie, oder „The Wild“ denken. Jene Arbeit, die einzig ein Zip ist. Doch was hat es mit diesem Zip auf sich, wie ein Reißverschluss ist er Mittler am/im/ins Bild. Er schließt die unteren Schichten auf, legt den Grund offen, oder verdeckt ihn. Mondrian verdeckt die Konstruktion in „New York City“ mit den Klebestreifen in Farben der einstigen Felder, doch der Betrachter assoziiert die Blocks, die Vogelperspektive über den Straßen der Stadt. Es ist vielleicht dieser industrielle, maschinelle, städtische Charakter Mondrians, dem Newman das wilde Aufreißen, Emporschnellen der darunterliegenden Natur entgegensetzt. Ein stilles Aufbegehren des tiefen Grunds.

Doch schon am Anfang sah man ein Licht am Ende der Enfilade. Man denkt an ein Fenster, Sonnenlicht, die Natur, das Draußen, was sich bemerkbar macht, in die Ausstellung einbricht, doch es sind, tritt man näher, zwei Leuchtstoffröhren. „the nominal three. To Wilhelm of Ockham“ 1963. In den Raumecken sind links eine und rechts drei Leuchtstoffröhren angebracht. Man zählt von links nach rechts. Die Arbeiten von Dan Flavin funktionieren nur noch mit dem Raum, auf den sie einwirken, weil sie ausstrahlen. Die Ecken werden – wie auch im Innenhof des Kunstmuseums – demateralisiert, ich würde aber eher von „geöffnet“ sprechen. Es sind die ungeahnten Türen, die Tore (Newman), die Netze, Pläne (Mondrian), die bei Flavin ausgeschalten werden. Wie ist das jetzt zu verstehen? Ich erwähnte die Leisten am Boden, die Zips, die Balken, die Rahmen, die nun leuchten, strahlen. Flavins Arbeit war doch nie die handelsübliche Leuchtstoffröhre! Es war die Wirkung, die Öffnung des Orts indem sie sich befindet, Auflösung jeder mythologischen Konstante, doch permanente Geladenheit als Strahlung, die ständige Präsenz des Mystischen. Worauf kommt es bei Flavins „untitled. To Barnett Newman“ 1971 nun an? Sehen sie sich die Arbeit an: die Ausrichtung, wie es sich zum Raum verhält, das Licht, wo es durch die Materialität der Leuchtstoffröhre verdeckt ist, wo es zum Vorschein kommt.

Die Verbindung? Ist sie nun dem Effekt des Sehens im Schein und Schimmern, in der Schwebe, in der Balance, geschuldet? Dem Spiel mit Oberfläche und Grund – wie immer, wie auch immer – sind wir immer unterlegen. Was wohl dahinter steckt? Die Widmung als lapidarer Bezug ist alles was uns Flavin als Etiquette stehen lässt. Wir beginnen zu grübeln, uns zu verlieren, laufen aus, wie die Farbe und fragen uns beim Hinausgehen wie es wohl ist, wenn jemand den Stecker zieht...

8/13/2013

Galleria Vezzoli, MAXXI Roma, Agosto 2013.

Galleria Vezzoli, MAXXI Roma, Agosto 2013. Hinter der Glaswand, Stahlbetonspiralen, die man in Wegen erschließt, die sich erst beim mehrmaligen Durchwandern tatsächlich erschließen, muss man einen roten Samtvorhang zur Seite schieben. Man gelangt in einen roten Raum, der sich hinein biegt, sozusagen den digitalen Kurven Zaha Hadids erliegt. Ein Tag zuvor im Palazzo Barberini, mehrere Tage zuvor im Palazzo Doria Pamphilj. Eher an den zweiten erinnert befindet man sich nun in einer verzerrten Realität – spaghettisiert und herrlich kurviert da in Italien – namentlich in der „Galleria Vezzoli“. Alles in rot und gold, Verzierungen und Verzückungen wohin man sieht. Das moderne Rom einer zweiten unterschwelligen Kaiserzeit. Es trieft vor Dekadenz und Arroganz und geschwellter Brust. Tritt man aber an die Werke heran bricht diese in ihrer Apotheose angeschwollener Brüste. Vergnügte Tränen, die nichts als „la dolce vita“ vormachen, vortäuschen, strahlende Porträts der Stars überblenden. Auf groben Stoffen gedruckt offenbaren sie den Stoff aus dem die Träume sind, ehe sich Blasen bilden, aus Seife. Darin rahmen sich die Gemälde, die gar keine sind und weil sie keine sind, sind sie echt. Was ist schon echt? An der Kunst? Bloß der onanierende Sklave, der gekonnt das Ejakulat in die goldene Schale der alten Matrone spritzt, die sich damit mit einem mit Ringen bestückten Finger das Gesicht eincremt. Man erinnert sich an Anti-Age und an die großen (pathetischen) Gefühle der Jugend... Eine andere Ausstellung, die sich über drei Etagen im MAXXI zieht, zeigt ein soziales Engagement. Die laute Größe der elendigen Kunst!! Weil auch hier bloß gezeigt wird, würde der brave loyale Kritiker an dieser Stelle Zitate bringen, Theorieassoziationen oder Bücherschlangen beschwören, doch was bleibt uns ohne diese übrig? Wir sehen uns das Video an und dann steigt Foucault, der sich in der panoptischen Hölle mit Cherry Bentham vergnügt, aus dem Grab und mahnt uns zur Sitte! Sitzen wir nicht alle im Gefängnis oder am Flughafen fest? Durchs Glas sehen wir drei Stockwerke nach unten, als ob es keinen Boden geben würde. Ohne Fiona Tans Ausstellung hier hochnäsig wegschieben zu wollen, oder schon gar nicht die wirklich – nicht nur formal – sehr gelungenen Fotografien von Luigi Ghirri zu schmälern, ist die Bestandausnahme der aktuellen Kunst in Rom Francesco Vezzoli geschuldet. Der Mailänder Modespezi(alist) versteht sich gut auf die ausgehöhlte Noblesse. Vor allem in seinen St®ickbildern kommt sie zum Tragen. In den Videos: Trailer zu Filmen, die es nicht gibt. Doch wir sehen nur Stars, die sich bereitwillig für Vezzoli in Szene setzen. Wenn alle zur „Ironie“ und zum „Extremismus“ seiner Kunst – wie u.a. im gelungenen Katalog – Stellung nehmen, müssen wir im Fahren auf lebendige Ziele schießen. Und so tut es gut einmal näher Fiona Tan und Vezzoli aneinander vorbeifahren zu sehen. Beide sind vom Konzept abhängig, doch während Fiona Tan an die Macht der Bilder und deren Präsenz verharrt – und das durchaus in einem romantischen Sinne – verwirft Vezzoli das Konzept indem er es konzipiert. So sehen wir bei Vezzoli eine Doppelbödigkeit, die man z.B. auch in den Kirchen Roms wieder findet. Man braucht sie nicht zu suchen, denn man sieht sie macht man die Augen auf. Tan reißt die Augen auf die sozialen Punkte, die für „la dolce vita“ vernachlässigend sind. Wer will noch Kunst, wenn es Haute Couture gibt? Wer will noch soziale Aspekte anprangern, wenn er weiß, dass es eine Unzahl von Menschen gibt, denen man etwas vormachen muss, damit man noch gut gekleidet außer Haus gehen kann? Die schlecht gekleideten Touristen blieben dem MAXXI fern. Vezzoli setzt sich selbst in Szene, einmal als Antinous, einmal als Hadrian, wie sie sich gegenseitig lieben. Und tatsächlich, man fühlt es – das Anhimmeln der Kunstwerke. Und die unmodischen Menschen werfen ihre ausländischen Euromünzen in den Automat, um den Caravaggio bei Licht zu bestaunen. Das Raunen geht einen nicht mehr aus dem Kopf, wie die für einen Sakralraum etwas lauten Worte des Aufpassers: „No Photo!“ Weniger die revolutionäre Malweise als die Subtilität ist es, was Caravaggio ausmacht. Der Moment, der zur Verkettung von Momenten führt. Und das Bild läuft an dir vorüber, sodass du lange davor stehen bleibst: So im Palazzo Barberini, in der Villa Borghese, so in San Luigi dei Francesi, in Santa Maria del Popolo. Wir sind immer noch im MAXXI und sehen den Flakon von Vezzolis Parfum “Greed“. Auch dieses gibt es nicht. Die Leerheit steht der der Religion in nichts nach, sondern spielt mit ihr. Vezzoli ist weniger einem Mythos der Moderne gefolgt, als einem die Konsumorientierung der westlichen Gesellschaft, der auch die lieben Kunsthistoriker angehören, weiß- und/oder schwarz-machen will, als der Weichheit und Flüssigkeit im Werk Salvator Dalis, den er sehr verehrt. Was Vezzoli uns zeigt ist auch nicht bloß die Folgeerscheinung Fellinis Leere des Vergnügens, oder der sehnsüchtigen und unlebbaren Ausschweifung, wie man an den an Pasolini orientierten Werken lesen kann. Vezzoli ist weniger an einer Möglichkeit orientiert. Dieses trotzige „Doch“ ist ihm dennoch nicht fremd, da er es hernimmt und belächelt. Man schlägt den Katalog auf, liest es an den Wänden: Doch dieses Lächeln ist doch (!) nicht „ironisch“, meine verehrten KollegInnen. Es hat seine Zartheit, die durchaus provoziert. Der Geist Manzonis lacht mit uns vor den heißen „Bouncing Balls“, die sich am kühlen Bruce „la Bruce“ Nauman orientieren. Eigentlich ist nichts zu sagen. Es lohnt sich keine große Schrift, wenn man Vezzoli als „unmöglich“ ansieht, denn dann kann man es nur unterstreichen, zwei Mal… Der Konsum und die Fassade, die in Rom verfallen ist und dadurch noch Platz zum Fantasieren lässt, prägen unseren Geschmack. Und wenn Vezzoli für gläubige Gemüter zu weit geht und Naomi Campbell als Madonna inszeniert oder sich selbst als antike Skulptur in Szene setzt, tritt er womöglich die Tradition weniger als ihm lieb ist. Eigentlich hat er keine Tradition mehr, nichts zu tradieren. Er übersetzt den Markt, weil er selbst(-)bewusst Marke ist. Eine Hand wäscht die andere, sie waschen sich gesellig gegenseitig und alles ist ach so sauber, dass man sich freut wieder aus dem MAXXI zu schlingen, in die dreckige Tram einzusteigen und in die Stadt zurückzufahren, um irgendwo la cena zu verzehren. Dann fährt man an Kirchen vorbei und hat Zeit über den Begriff „Andacht“ nachzudenken. Doch wenn man dabei die unstylischen touristischen Pilger sieht, sehnt man sich zurück nach der „Galleria Vezzoli“…

1/24/2013

Die Flucht in den Zufall. Max Ernst in der Albertina.

Nicht nur Gott war am siebenten Tage langweilig. Menschen gehen um dieser Langweile zu fliehen ins Museum. Es ist mein Ernst, Max. Georges Bataille schrieb 1959: „Er sei ein Philosoph, der spielt.“ In meiner Unwissenheit schlug ich im etymologischen Wörterbuch nach und bemerkte, dass Ernst auch „Festigkeit, Kampf“ bedeute. Es leite sich vom Griechischen éris „Streit, Kampf“, erétho „reize auf“, epéreia „Kränkung, Drohung“ ab. Oder adorior „ich greife an“. Doch ich kann es nicht begreifen, why I adore his works so much. „Adore“ bedeutet ja im Englischen soviel wie „anhimmeln, bewundern, vergöttern“. Der Reiz des Angriffs spitzt sich bei der Betrachtung der Kunst Max Ernsts dermaßen zu, da er die haptische Präsenz nicht nur hervortreten lässt, sondern weil sich dieser Abdruck durch die Leinwand oder das Blatt durchpresst und sich als Abdruck in meinem Hirn festsetzt. Der Kampf, der ausgetragen wird ist ein rein körperlicher. Doch einer der Übersetzung – wie immer – von einer dreidimensionalen Form zu einer zweidimensionalen Fläche, worauf sich die erhabenen Strukturen umkehren und zu Einbuchtungen werden, so als ob wir nun dieses Holzstück wären, welches weg ist. Max Ernst sprach in einem Video – in der Ausstellung – davon, dass er die Angst vor dem weißen Blatt hatte und ihm die Inspiration fehlte. Die Experimentierfreudigkeit brachte ihn dazu einfache Oberflächen herzunehmen und diese als Ausgangspunkt für seine Bilder zu denken: die Frottage. Überall könne man etwas sehen, woraus sich etwas entwickelt. Zahlreiche andere Experimente und Techniken – welche ich nicht weiter ausführe, wie Grattage, Décalcomanie und Oszillation – prägten seinen spielerischen Umgang. Unverbildet als Autodidakt ging er daran das Material zu untersuchen und das, was übrig bleibt. Erinnerungen, wohin das Auge schaut, doch nicht nur das Auge sieht.

Doch was sieht das Auge nun, wenn es an einem Sonntag – und nicht nur dann! - die Albertina betreten mag. Es sieht eine Retrospektive, die auf und ab geht. Der lange Gang, der weite Weg hinauf. Dieses Emporgehen, dieser weite Weg, lässt die Erwartungen nicht sinken, sondern steigert den Reiz die Arbeiten zu betrachten. Dass die Ausstellungsarchitektur konventionell ist, muss nicht groß hervorgehoben werden. Wir sind nur wegen der Arbeiten gekommen! Die Sauberkeit der Albertina und die aufgeklebten Texte will ich ausblenden. Die Räume haben viel mehr Potenzial, sodass etwas brachliegt, wenn man sie durchschreitet. Auf Sichtachsen und erfernte Betrachtungen von Gemälden wurde wenig Rücksicht genommen. Jedoch nicht unbedacht. Der erste Raum – schreitet man durch die Glastüre – konfrontiert uns mit frühen Arbeiten, die z.T. noch sehr an Chagall, De Chirico oder Balla erinnern mögen. Besonders interessant fand ich das „Seestück“ von 1921 – gleich das erste Gemälde rechts. Die Wüste mit Springbrunnen und Kalabasse. Nur durch diese kommt man zu Wasser und Musik. Zwei wesentliche – nicht Dinge, sondern – Harmonien in der Wüste. Wie kann man etwas denken, über das, was nicht hier ist? Nur so. Die Sehnsucht richtet sich nach dem Unerreichbaren, doch hier ist es vorhanden und das Bild verheißt es mir. Es sei möglich... Ich muss schnell weiter. Was ich bemerkte waren diese ins Leere laufenden Umrisse. Outlines, deren Figuren offen bleiben und sich zu dematerialisieren scheinen bzw. Grund in sich aufnehmen oder sich dem Grund hingeben? Jedenfalls ihn schneiden und sich als Linien über ihn zufällig zu ergießen scheinen. Die Collagen im zweiten Raum haben eine derarige Feinheit, dass sie mich erschreckten. Die Montage – wahrscheinlich (nicht nur) im Wissen um Duchamp entstanden – zeigt sich in maschinellen Zeichnungen – gleich rechts an der Rückwand. Der Übergang ist verständlich. In den Collagen wird nun geschnitten und kombiniert. Diese Collagen verdichten sich, berühren sich, da sie sich überlappen und doch homogen aussehen.

Wir gehen die Stufen hinunter und sehen nach rechts. Was wir sehen ist „Die Ruine“, ein Gemälde von 1922. Es wirkt leer und tot. Den Text, der nebst dem Gemälde appliziert ist können sie selbst lesen. Das Format ist oval. Der Hintergrund ist schwarz. Ohne lebende Personen schiebt sich ein Sandkegel in dieses Schwarz pyramidenförmig hinein. Hierauf befinden sich mehrere Vertiefungen, weiter oben ein schwarzes Loch, das eine Tür suggeriert. Erinnert an Mastabas und Gräber sehen wir nun rechts vorne einen Ziegelwand, sowie links einen Ziegen oder Schafskopf liegen. Die Haut und das Fell abgezogen zeigt sich das Fleisch. Ein schwarzer Fleck lässt den Gestank erahnen. Doch welcher Gestank? Erst aus dem nächsten Raum – nachdem man das viel diskutierte Gemälde „Ubu Imperator“ von 1923 passiert hat –, ein paar Stufen tiefer, kann man die Ikonografie des Bildes erkennen. Sie ließ mich erschaudern. Ich sah mir eine Fotomontage an und blickte kurz zurück und dann erkannte ich aus der Ferne die Ruine als eine Madonnendarstellung mit Kind. Die Sandpyramide wurde zum Umhang Mariae, die schwarze Öffnung zu ihrem leeren Körper. Es ist klar, dass sie nicht mehr da ist. Auch das Kind fehlt. Vielleicht mögen sie nun den Beipacktext neben dem Gemälde lesen.

Auch ich war schon weg – im nächsten Raum. Max Ernst gab seinen Arbeiten oft viel später erst ihre Titel. Da sich Arbeiten im Laufe der Zeit (auch und besonders für Künstler) verändern, ist es schwierig und nahezu unmöglich – wenn man allein nur liest, was nebensteht – zu verstehen. Doch darum geht es nun wirklich nur am Rande, denn will ich Kunst völlig entzaubern, so entkommt man auch den Gemälden von Max Ernst. Man könnte nun die Augen schließen und durch die Ausstellungsräume laufen, vor der Ausstellung flüchten, wie so viele Menschen. Es ist nicht zu lachen, doch viele Kunsthistoriker – wie auch Kuratoren – meinen, dass diese Beipacktexte wichtig seien, doch halten sie in diesem Fall eher ab, als hineinzuführen. Viel wichtiger erscheint es mir nur die Bilder zu betrachten, was auf ihnen steht und nicht nur das geschriebene Wort. Denn wenn Ernst von Rousseau, Redon, Breton oder sonst noch wem beeinflusst war, so nutzt der Verweis nichts. Ich will den Vogel denken, der im Bild „Zwei Personen und ein Vogel“ von 1926, am Boden liegt. Nahezu zertreten fleht er mich an. An einigen Stellen mit Kreuzschraffur überzogen scheint das Bild eine Umkehr zu sein. Keine Zeichnung als Grund, sondern einer Zeichnung eines Darüber. Und dieser gezeichnete Vogel wurde tatsächlich zum Gezeichneten. Er ist Zeichen eines Beisamensein, doch welches – warum ist er am Boden? Sind es die tiefen Leidenschaften, oder ist es das Ende, welches hier in radikal austretender Offenheit beschworen wird. Beides? Wenn wir weiter gehen sehen wir „Zwei junge nackte Chimären“ von 1927. Es beginnt sich das bösartig-bedrohliche Mischwesen zu vermehren? Es zeigt sich an sovielen Stellen und es verschwindet wieder im Fleck / als Fleck.

Hat man das schicke – leider schickliche – Spiegelkabinett überwunden stößt man auf das – schon erwähnte – Frottage-Video. Doch zuvor – selbe Wand, aber gleich rechts - „Eva, die einzige die uns bleibt“ von 1925. Ich stand nur kurz davor und es kam mir vor als stünde ich Stunden... Nach den Collagen für die Gedichtebände für Paul Éluard, sowie seinem eigenen Bildroman waren es vorallem die Stellung der Plastiken und Skulpturen, welche mich etwas enttäuschte. Der Spiegel – wieder eingesetzt – um die an den Rand gedrängten Arbeiten allansichtig zu machen ist nervig. Die Arbeiten verlieren dadurch leider an Kraft. Nachdem man sich wieder allmählich die Stufen hinaufkämpft, um dann wieder hinabzugehen stößt man auf die „Versuchung des Heiligen Antonius“ von 1945. Man fühlt sich hier wohl. Beim Betrachten wird man ruhig, weil die Wesen der Flecke – im Sinne Leonardos – nun endlich lebendig werden und zwar vehement lebendig. Ist das Motiv auch an Grünewald angelehnt, so zeigt sich darin die spezielle Qualität Max Ernst: Weniger ist es der vielzitierte Hieronymus Bosch und das Phantastische, sondern viel mehr das unendliche Spiel der Realität (um es beim Namen und nicht über andere Namen zu nennen!)– ob gespiegelt oder nicht. „Der Philosoph, der spielt“ tritt hier zu tage und die Kunst wird zum Leben, indem sie ihn zerreißt und doch noch zusammenhält. Von Natur überwuchert werden. Von Malerei überwuchert werden. Es ist dasselbe, weil es immer das Andere ist – was uns anzieht und uns erst zum Mensch macht. Das Tier, die Pflanze macht uns zum Menschen. Und die Bedrohung, die davon auszugehen mag, macht uns lebendig. Nun sind wir schon weit vorgedrungen und schlagen uns Eck um Eck weiter. Plötzlich stehen wir vor einem Bild, welches 52 Bilder beinhaltet. Es heißt „Vox Angelica“ von 1943. Der Besucher bekommt einen Kommentar von Werner Spieß dazugeschalten. Ja, Max Ernst war 52 Jahre alt. Ja, er war in einer Hütte in Arizona. Dieser Raster bedrückt mich und ich gehe schnell weiter. Abgerahmtes Leben, wie ein Kalendar deren Tage nach und nach abgehakt wurden und nun ist das Jahr um – die Ausstellung noch nicht ganz. Die Bilder im letzten Raum sind wuchtige Farbexpolsionen. „Ein Bienenschwarm in einem Justizpalast“ von 1960 – ein heftiges Allover. Durch eine Glastüre war man nun wieder draußen. Die Aufgabe war nun wieder herunterzukommen – in doppeltem Sinne. Unten lag der Katalog, der mich weniger interessierte, doch das Zitat von Max Ernst an der Rückseite des Einbands bewegte mich: „Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet.“